Dienstag, 5. August 2014

Der Transzendenz-Läufer vs. den Selbsthass-Läufer

Klar, zu dieser warmen Jahreszeit ist es einfach, sich zum Laufen zu motivieren. Die Temperaturen sind angenehm, das Draußenlaufen verleiht einem eine knackige Farbe, Vögelchen zwitschern fröhlich in der Gegend rum und hübsche Sonnenuntergänge geben dem Lauf häufig einen netten instagram-mäßigen Farbton.

Aber was treibt einen sonst dazu die Schuhe zu schnüren und einfach los zu laufen? Wenn das Wetter gerade mal nicht mitspielt oder der Tag sehr stressig war oder man einfach gerade tausend bessere Dinge zu tun hat, als Sport zu treiben (sowas wie sich mit Freunden zu treffen, was Schönes zu kochen, ins Kino zu gehen, Computer zu spielen, Fernsehen zu schauen, Süßigkeiten zu essen, auszuschlafen, zu lesen oder alles gleichzeitig)?

Die eingefleischten Läufer verstehen diese Frage nicht, denn ihnen macht das Laufen auch tatsächlich Spaß. Ob Regen, Kälte oder ein 14-Stunden Arbeitstag: Zeit und Motivation zum Laufen findet sich immer. Es ist irgendwie Ausgleich vom Alltagsstress und persönliche Herausforderung in der Freizeit zugleich. Ich verstehe das ja nicht so ganz, aber so habe ich es schon dutzendfach gehört. Diese Menschen lieben das Laufen um des Laufens Willen. Gleichzeitig sind sie natürlich Wettkampfläufer und reißen oft mehr als 100km/Woche ab, und eine Woche ohne Laufen gab es bei ihnen das letzte Mal wahrscheinlich als sie das andere Geschlecht für sich entdeckten.

Von dieser Gruppe wird das Laufen häufig romantisch verklärt: es bringe ihnen Ruhe und Gelassenheit, den richtigen Start in den Tag oder wahlweise auch die gesunde Art Aggressionen abzulassen, das Laufen versetze sie in eine Art meditativen Zustand, der Entspannung pur sei. Ich zähle mich ja auch gern zu dieser Gruppe. Aber wenn ich mal ganz ehrlich zu mir bin, war und ist das Laufen immer Mittel zum Zweck gewesen. Das hört sich erstmal negativ an, so ist es aber nicht gemeint. Ich finde beim Laufen nur sehr selten Ruhe und Frieden. Ich kann mich nur selten dabei erholen und ich bin auch nur ganz selten in der Lage, mich wirklich zu entspannen und nicht auf Geschwindigkeit und Zeit zu achten. Oft bin ich froh, wenn die Einheit vorbei ist. Und das, obwohl ich ohne Schmerzen laufe und gut in Form bin.
Ich laufe, weil ich schon so viele Jahre daran gewöhnt bin. Ich könnte nicht einfach aufhören damit. Aber das heißt nicht, dass es mir unendliche Freude bereitet oder mir irgendeine Art von transzendenter Erfahrung verschafft.

Ich möchte beim Laufen nicht der Lahmste sein. Wenn mir andere Läufer begegnen, bin ich mir sicher, flotter als sie zu sein und falls sie mich überholen, sind sie immer gerade auf nem Tempolauf unterwegs während ich regeneriere oder wahlweise laufen die eh viel zu schnell und ihrem Leistungsniveau überhaupt nicht angepasst. Ich vergleiche also relativ häufig. In Läuferkreisen gilt das gerne als Sünde, weil ja jeder nur für sich läuft. Das kann mir doch niemand ernsthaft erzählen. Menschen vergleichen sich immer und andauernd. Außerdem hilft mir das Laufen dabei, dass ich nicht aus den Fugen gerate. Ich gucke mich gerne im Spiegel an und denke: "Jau, so muss die Sache aussehen." Ich bin also auch noch eitel. Eine weitere Sünde.

Und auch wenn ich mich auf einen Wettkampf vorbereite, möchte ich nicht hinter meinen früheren Leistungen zurück bleiben, sondern mich möglichst stetig verbessern. Ist das nicht möglich (wie momentan), laufe ich eben keinen Wettkampf. Ich vergleiche mich also nicht nur mit anderen Läufern, sondern auch noch mit mir selbst. Es ist wie früher auf dem SNES, als ich bei Mario Kart am allerliebsten gegen meine eigenen Bestzeiten angefahren bin. Ziemlich verbissen. Treibt aber erstaunlich gut zu neuen Bestleistungen an.
Außerdem mag ich es, wenn ich Anderen vom Laufen erzählen kann. Mir ist bislang noch niemand begegnet, der nicht über mein Laufpensum während einer Marathonvorbereitung gestaunt hat. Heißt im Klartext: Ich laufe auch wegen der Anerkennung Dritter. Hört sich auch ganz schön sündhaft an.
Ich habe lange Zeit damit gehadert oder mir das Laufen schöner geredet als es eigentlich ist. Es hört sich immer viel besser an, wenn man für die geistige Reinigung oder zum Erreichen eines höheren Bewusstseins läuft und diesen ganzen banalen, weltlichen Streben entstiegen ist und läuft, um sich selbst zu erfahren, gegenwärtig zu sein und aufhört, ständig zu vergleichen oder zu werten.
Was mich dabei ohne Ende stört: Wenn so darüber gesprochen wird, gilt der Eitle, sich Vergleichende schnell als jemand, der weniger zählt als der Transzendenz-Läufer, der "wahre" Läufer.
Ich sage: scheißegal, weshalb du läufst! Läufst du, um schlanker zu werden und hasst jede einzelne Sekunde des Laufens, weil die Füße brennen und du dir wieder mal den Schritt wund gelaufen hast, was für dich als gerechte Strafe für ein jahrelanges Schleifenlassen der eigenen körperlichen Fitness erscheint? Läufst du, weil du dir damit die 1000 Extra-Kalorien verdienst, um die hinterher die 200g-Tafel Mandelschokolade reinziehen zu können, um dich zu belohnen, weil du diese quälende Geschichte wieder hinter dich gebracht hast? Läufst du, um deinem Nachbarn seine eigene Unsportlichkeit unter die Nase zu reiben? Läufst du, damit du endlich vor Allen in aller Bescheidenheit angeben kannst, dass du jetzt Marathonläufer bist? Hauptsache, du läufst überhaupt. Und auf keinen Fall ist man ein weniger "echter" Läufer, wenn man nur läuft, um endlich im Sommer am See seinen Sixpack präsentieren zu können. Solange du beim nächsten Wettkampf den wahren Läufer Staub fressen lässt, bist du der sehr viel wahrere Läufer als er.

So, das hat sich jetzt ausreichend testosterongeschwängert angehört. Deshalb noch etwas Versöhnliches zum Schluss: Es gibt wahrscheinlich niemals nur die eine oder die andere Kategorie von Läufern. Ich habe es gerade heute wieder sehr genossen beim letzten Intervall nochmal ein klein wenig mehr Gas zu geben. Ich mag das Laufen! Und jeder, der dabei bleibt, wird es auf die ein oder andere Weise mögen lernen. Und wenn es eine Hassliebe ist, ist das auch okay. Immerhin kann es einen vor dem allzu frühen Herztod bewahren... ein weiterer, ach so banaler Grund: ich will meine sterbliche Hülle bewahren, dabei bin ich doch so viel mehr als bloß dieser denkende Fleischsack... ahja? Mir egal, ich lass mich auch einfrieren und wieder auftauen, wenn die Medizin so weit ist, während dein Bewusstsein schon längst drei Meter unter der Erde gefangen ist und nicht aus dieser Fleischhülle raus kann und die Maden immer ekliger an dir rumknabbern und... okay. Alles Weitere im nächsten Albtraum ihrer Wahl.

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