Mein Trainingstage"buch" |
Apropos: Es war also endlich der 6. Mai 2007! Ich war schon leicht nervös, hatte Angst vor der langen Strecke. Zu allem Überfluss war es an diesem Tag ungewöhnlich warm. Mindestens 25 Grad und die Sonne schien unerbittlich auf den heißen Asphalt (genug Poesie). Morgens war es ja noch recht frisch. Ich fand mich, nachdem ich mich von meinen Begleitern verabschiedet hatte (so etwa fühlt man sich bestimmt auch, bevor man in den Krieg geht - ich übertreibe gern), in meinen Startblock ein. Der Zielzeit von unter vier Stunden entsprechend war das ziemlich weit hinten im Feld. Ich fand mich also zwischen schnatternden Mittfünfzigern und diesen von permanenter Fröhlichkeit "gesegneten" Herren und Damen wieder. Leute, die einfach so zum Spaß laufen. Ich mag diese Einstellung. Ganz ehrlich. Aber es war nichts für mein Mindset: Zu laufen, bis ich umfalle. Das hatte ich mir vorgenommen. Das Training an sich hatte unheimlich Spaß gemacht. Aber ich wusste, dass ich heute extrem an meine Grenzen gehen musste, wenn ich mein Ziel erreichen wollte. Das war also kein Spaß für mich, eher sowas wie Krieg: Gegen das Wetter, die Strecke, nervige Läufer und vor allen Dingen gegen den inneren Schweinehund.
Die Stimmung war toll, es gab Musik, Geklatsche, deutsche brasilianische Klänge spielende Musikgruppen, was immer irgendwie verwirrend ist. Ich war einfach nicht so ganz dafür zu begeistern. Nun gut - der Startschuss kam und - man ging langsam Richtung Startlinie. Es dauerte ewige sieben Minuten, bis ich endlich loslaufen konnte. Ich fand schnell meinen Rhythmus, traute mich aber nicht so recht auf meinen Puls zu schauen. Die Zwischenzeiten stimmten aber. Ich kurvte durch einige Kaffeekränzchen - anscheinend nahmen es nicht alle so genau mit der richtigen Einordnung in die Startblöcke. Nach 10km wagte ich dann doch mal einen Blick auf den Puls. Er war etwas zu hoch. Aber noch im erträglichen Rahmen. Mit der Zeit nahm die Hitze immer weiter zu. Ich redete mir ein, dass ich in der Hitze ja erst richtig gut wäre. Aber natürlich ist es so, dass es keine optimalen Bedingungen für einen Marathon waren. Ich trank und aß fleißig an den Verpflegungsstellen. Nach der Hälfte der Strecke war ich ca. eine Minute schneller als ich für die vier Stunden sein müsste - also alles in Ordnung. Marathons werden umso interessanter, je länger man läuft. Bis Kilometer 28 war auch alles in Ordnung. Ich hatte zwischenzeitlich noch einen Riegel verdrückt. Sowas nehme ich heute nicht mehr mit auf Wettkämpfe. Er ist mir buchstäblich im Hals stecken geblieben. Netterweise kam einer dieser so nervenden Läufer und bot mir sein Getränk an. Ich trank einen Schluck und bedankte mich - diese Art von Solidarität, wenn es hart auf hart kommt, erlebt man immer wieder unter den Läufern und das ist einer der Gründe, warum Laufen so großartig ist: Konkurrenz gibt es im großen Feld nicht. Man pusht sich gegenseitig, hilft sich, wenn man kann und feuert sich an. Trotzdem wurde es so langsam unangenehm. Länger als 30km war ich noch nie gelaufen und mein Körper fing jetzt so langsam mit dem Rebellieren an. Zuerst fing der Magen an zu streiken. Er wollte nicht noch ne Banane annehmen und Getränke waren auch nicht mehr so sein Fall. In Angst vor dem Mann mit dem Hammer hatte ich mich vielleicht überfressen. Jedenfalls bekam ich Seitenstechen. Und nach dem Körper fing auch der Geist an zu streiken. Er fragte mich, was das denn alles solle. Unter vier Stunden, über vier Stunden, wo da der Unterschied sei. Ich, clever wie ich bin, hatte mir folgende Strategie zurecht gelegt: Je schneller ich ins Ziel laufe, umso schneller ist der Schmerz auch vorbei. Diese Argumentation betete ich mir vor. Aber nach ein paar Kilometern konnte ich mein eigenes Geseier nicht mehr hören. Ich freundete mich mit dem Teil an, der etwas langsamer machen wollte. Auf den Puls schaute ich auch nicht mehr, das war mir zu deprimierend geworden. Nach 35km lag ich ca. 2 Minuten über der vier Stunden-Grenze. Ich wollte nur noch ins Ziel kommen und bei meinen Begleitern eine einigermaßen gute Figur abgeben, die mich bei km40 erwarteten. Außerdem kam mir noch folgendes Szenario in den Sinn: Ich laufe also diesen Marathon zu Ende und erreiche eine Zeit von 4 Stunden plus x. Damit hätte ich mein vollmundig angekündigtes Ziel verfehlt. Klar, Marathon geschafft, aber die mitleidigen Blicke und Kommentare, dass ich ja trotzdem ganz gut gewesen sei, wollte ich mir nicht geben. Leute, die noch nie Marathon gelaufen sind, geschweige denn ne halbe Stunde am Stück joggen können, von denen wollte ich mir keine gespielte Aufrichtigkeit anhören. Also fing ich an, mir Feindbilder im Kopf aufzubauen: Denen zeig ich's noch! Solche komischen Sachen liefen also jetzt im hirnverbrannten, sauerstoffunterversorgten Kopf ab. Und ich lief wieder schneller.
ca. 1,5km vor dem Ziel... |
Insgesamt war es ein einmaliges Erlebnis. Ich könnte noch so viel mehr über den Lauf an sich schreiben, der sich mir wirklich ins Gedächtnis gebrannt hat, wahrscheinlich wegen des Wetters. Hinterher tat mir alles weh und ich konnte mich kaum geradeaus bewegen. Ich dachte: Nie mehr tu' ich mir sowas an. Ich gab meinen Leihchip ab und konnte an den drei folgenden Tagen keine Treppe vorwärts runter gehen. Aber als der Schmerz ging, blieb der Stolz und der Wunsch, dieses Erlebnis zu wiederholen. Und natürlich wollte ich besser werden. Also lief ich weiter.
Sehr schöner Blog. Werde im April auch meinen ersten Marathon in Hamburg laufen. Hab mir das gleiche Ziel gesetzt wie du, glaube aber, dass es mit den vier Stunden denkbar knapp werden wird. ;)
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